Vergänglichkeit und die Zyklen des Lebens

Eckhart Tolle - JETZT die Kraft der Gegenwart

Buddha lehrte, dass selbst dein Glücklich sein dukkha ist – ein Wort aus dem Pali, das „Leiden“ oder „Unzulänglichkeit“ bedeutet. Es ist von seinem Gegensatz untrennbar. Das bedeutet, dein Glücklich sein und dein Unglücklich sein sind in Wahrheit eins. Nur die Illusion von Zeit trennt sie.

Diese Haltung ist nicht negativ. Sie erkennt einfach die Natur der Dinge an, so dass du nicht für den Rest deines Lebens einer Illusion hinterher rennst. Sie sagt auch nicht, du solltest angenehmen und schöne Dinge oder Bedingungen nicht mehr schätzen. Aber wenn du von ihnen etwas erwartest, was sie dir nicht geben können - eine Identität, ein Gefühl von Beständigkeit und Erfüllung -, dann hast du dein Rezept für Frustration und Leiden. Die gesamte Werbeindustrie und die Konsumgesellschaft würden zusammenbrechen, wenn die Menschen erleuchtet wären und ihre Identität nicht länger in Dingen suchen würden. Je mehr du auf diese Art das Glück suchst, desto mehr entzieht es sich dir. Nichts da draußen wird dich je befriedigen, es sei denn oberflächlich und für kurze Zeit, aber es kann sein, daß du vieler Illusionen beraubt werden musst, bevor dir diese Wahrheit einleuchtet. Dinge und Umstände können dir Vergnügen verschaffen, aber sie bringen immer auch Leid. Dinge und Umstände können dir Vergnügen verschaffen, aber sie bringen dir keine Freude. Nichts kann dir Freude bringen. Freude ist ohne Ursache und steigt aus dem Inneren als die Freude des Seins auf. Sie ist ein essentieller Anteil des inneren Zustandes von Frieden. Dieses Befinden wird der Friede Gottes genannt. Es ist deine natürliche Beschaffenheit, nicht irgendetwas, auf das du hinarbeiten oder das du dir erkämpfen musst.

Viele Menschen erkennen nie, dass sie mit all ihrem Tun, Haben oder Streben niemals die „Erlösung“ finden werden. Diejenigen, die das erkennen, werden oft lebensmüde und depressiv: Wenn nichts die wahre Erfüllung geben kann, wonach lohnt es sich dann noch zu streben? Es ist doch sowieso alles sinnlos. Der Prophet im Alten Testament muss eine solche Einsicht gehabt haben, als er schrieb: „Ich habe alles gesehen, was unter der Sonne geschieht, und siehe, alles ist Eitelkeit und Streben nach dem Wind.“

Wenn du an diesem Punkt ankommst, bist du nur einen Schritt von der Verzweiflung entfernt – und nur einen Schritt von der Erleuchtung.

Ein buddhistischer Mönch sagte einst zu mir: „Alles, was ich in den zwanzig Jahren als Mönch gelernt habe, kann ich in einem Satz zusammenfassen: Was entsteht, vergeht auch wieder. Das weiß ich.“ Er meinte damit natürlich dieses: Ich habe gelernt, dem, was ist, keinen Widerstand entgegenzusetzen; ich habe gelernt, den gegenwärtigen Moment zuzulassen und die vergängliche Natur aller Dinge und aller Umstände anzunehmen. So habe ich Frieden gefunden.

Dem Leben keinen Widerstand entgegenzusetzen bedeutet, in einem Zustand von Gnade, Mühelosigkeit und Leichtigkeit zu sein. Dieser Zustand ist dann nicht mehr davon abhängig, daß alles auf bestimmte Art und Weise läuft. Es scheint fast paradox, aber wenn deine innere Abhängigkeit von Form verschwunden ist, werden sich deine allgemeinen Lebensumstände und äußeren Gegebenheiten wahrscheinlich stark verbessern. Dinge, Menschen oder Umstände, die du für dein Glück zu brauchen glaubtest, kommen jetzt ohne deine Mitwirkung, ohne Mühe auf dich zu und du kannst dich an ihnen erfreuen und sie würdigen – solange sie da sind. All diese Dinge werden natürlich auch weiterhin wieder verschwinden, Zyklen werden kommen und gehen, aber mit dem Verschwinden der Abhängigkeit verschwindet auch die Angst vor dem Verlust. Das Leben fließt mit Leichtigkeit.

Das Glück, das aus einer Sekundärquelle entspricht, ist nie sehr tief. Es ist nur ein matter Abklatsch der Freude des Seins, des pulsierenden Friedens, den du in dir entdeckst, wenn du in die Widerstandslosigkeit eintrittst. Das Sein bringt dich über die polaren Gegensätze des Verstandes hinaus und befreit dich von der Abhängigkeit der Form. Selbst wenn alles um dich herum zusammen bräche und zerfiele, würdest du im tiefsten Innersten weiterhin einen Kern von Frieden fühlen. Du wärest vielleicht nicht glücklich, aber du wärest voller Frieden.